Chenjiagou ist der Heimatort der Chen Familie, wo im 17. Jahrhundert deren Taijiquan System von Chen Wangting entwickelt wurde. Das Dorf liegt westlich der Millionenmetropole Zhenzhou, etwa 700 Kilometer von Peking entfernt, und zählt ungefähr 3000 Einwohner. In diesem Artikel möchte ich kurz meine Erfahrungen und Gedanken zu der Veränderung zwischen 2007 und heute schildern.
Eindrücke von 2007
Im Jahre 2007 war ich das erste Mal dort und trainierte in der Schule von Chen Xiaoxing für 2 Monate. In dieser Zeit erhielt ich eine tiefen Eindruck wie es so ist am Ursprungsort des Chen Taijiquan zu leben, abseits des wirtschaftlichen Aufschwunges von China. Das Dorf selber wurde noch weitestgehend von Bauern bewohnt und es gab ein kleines Restaurant sowie eine kleiner Laden für die nötigsten Sachen, am Samstag war dann jeweils Markt wo man sich traf. Die Strassen waren staubig und die Bauern trockneten darauf den Mais den sie geerntet haben. Das einzige Internet Café war in einer Nebengasse und glich mehr einem Entsorgungsraum für ausrangierten Büroinventar. Es gab auch weitere Taiji Schulen und einige historische Gebäude, wie der Tempel zu Ehren von Chen Wanting oder dem Haus von Chen Changxing, dem Trainer von Yang Luchan (Gründer des heute bekannten Yang Stiles).



Die Tage nahmen so ihren Lauf und ganz nach dem Motto, es kommt wie es kommen muss, war wenig Hektik spürbar. Ausser wenn wieder mal ein paar Langnasen vorbei kamen, gab es für die Einheimischen Abwechslung. Das Dorf selber bot jedoch wenig Unterhaltung neben dem Training, und so konnte man sich voll und ganz dem Taijiquan widmen. Es wurde über 6 Stunden am Tag trainiert und die Abende waren gefüllt mit Spaziergängen, Buch lesen oder sich mit den anderen Schülern auszutauschen. Smartphones oder Tablets gab es damals noch nicht.



Der Vergleich mit 2019
Im Jahre 2019 war ich wieder dort und die Situation hat sich komplett geändert. Die chinesische Regierung hat erkannt, dass sie auch aus Chenjiagou Kapital schlagen kann, wie schon aus dem Shaolin Kloster. Es wurden Hotels, Läden und Restaurants gebaut und es gibt eine riesiges Competition Center für Turniere oder Trainings. Viele Häuser wurden renoviert oder abgerissen und durch neue ersetzt. Es ist sogar die Rede vom Bau eines Highspeed Zuganschlusses und einem Flughafen. Grundsätzlich ist zu sagen, dass sich das Dorfbild grundlegend verändert hat seit 2007. In den folgenden Gegenüberstellungen zeige ich ein paar Beispiele auf wie es früher war und heute ist.
Diese zwei Bilder zeigen die Strasse vor der Schule von Chen Xiaoxing. Früher wurde da auch Mais getrocknet, es gab ein Geschäft mit Taiji Artikel, welches von seiner Schwester geführt wurde, und am Abend wurde Gemüse verkauft. Seitdem wurde die Strasse erneuert und dutzende neue Läden verkaufen heutzutage alles mögliche für das Wohl des Taiji Praktizierenden.


Die Strasse zum Dorfzentrum. Früher in fester Hand der Bauern zum Trocknen, heute zum Schlendern und Fotos machen für die Touristen.


Eine Nebenstrasse, wobei hier zu sagen ist, dass das Bild von 2019 eine Nebenstrasse ist, welche zum neuen Trainingszentrum führt. Es soll nicht der Eindruck erweckt werden, dass jede Nebenstrasse so ist.


Als letztes noch einen Vergleich der Trainingshalle in der Schule von Chen Xiaoxing. Früher waren die Fenster kaputt und der Boden uneben mit einem löchrigen Teppich überdeckt. Die Temperatur drinnen und draussen war in etwa gleich. Es trainierten alle in oder vor der Halle, sie war und ist auch heute noch das Zentrum der Schule. Heutzutage besteht der Boden jedoch aus Marmorplatten und ein Boxring füllt den Raum zu einem grossen Teil aus. Von der ursprünglichen Trainingsatmosphäre war nicht mehr all zu viel zu spüren.


Ich möchte nicht Werten, jedoch hat Chenjiagou durch die Verkommerzialisierung nicht nur Wohlstand erfahren sondern auch viel von seinem alten Glanz verloren. Wachstum und Erneuerung hat seine guten Seiten, jedoch wird die Zukunft zeigen ob Chenjiagou das Authentische und das Traditionelle noch wahren kann. Viel Wissen wurde von Generation zu Generation in einem mehr oder weniger geschlossenen Rahmen weitergegeben. Ob dies so weitergeführt werden kann, bleibt zu hoffen für die Taiji Gemeinde.